Barbara Steiner, Zur Materialästhetik von Elisabeth Homar

Elisabeth Homar hat sich vor ungefähr zwei Jahren von ihren der Fläche verhafteten Materialcollagen abgewandt und gestaltet nun sehr kleine dreidimensionale Objekte. Diese sind – wie auch die früheren Arbeiten – aus verschiedenen, oft der Alltagswelt entnommenen Fundstücken zusammengesetzt. Nägel, Drähte, Verpackungskartons, altes Spielzeug, Schnürsenkel etc. werden von der Künstlerin gesammelt, aufbewahrt und vielleicht erst nach Monaten, Bestandteil ihrer Materialkombinationen. Elisabeth Homars außergewöhnlich grosser visueller Begabung ist es zu verdanken, dass sie in den „kleinen Dingen“ – die man an sich kaum als künstlerisch relevant betrachtet – Qualitäten entdeckt, die den meisten Menschen auf den ersten Blick verborgen bleiben.
Verschiedene Gegenstände bzw. Materialien von unterschiedlicher stofflicher Beschaffenheit und optischer Wirkung werden miteinander verknüpft; Draht, Klammern oder Schnüre haben oft eine verbindende Funktion. Durch die Kombination von Gefundenem, Fragmentarischem, Ungestaltetem oder bereits Gestaltetem und das Einbeziehen von Farbe wird ein neuer Zusammenhang, eine „neue Wirklichkeit“ geschaffen. Die einzelnen Dinge werden mehr und mehr aus ihrer Fixierung an einen bestimmten Alltagsbezug gelöst – ohne ihn ganz zu verlassen – und ihre formalen und farblichen Werte treten stärker hervor. Der Künstlerin gelingt es, unsere Sinne für die unterschiedliche Materialität der Teile und deren Struktur, für ihre Beziehungen zueinander und ihre farblichen Qualitäten zu sensibilisieren. Es entsteht ein dialektisches Wechselspiel zwischen der banalen Vertrautheit der Objekte und deren abstrakten Komponenten, ohne dass man sich auf einen der beiden Pole festlegen könnte.
Einen wesentlichen Aspekt der Werke von Elisabeth Homar stellt der spielerische Umgang mit den Materialien dar, welcher den Objekten ein heiteres Moment verleiht und sie davor bewahrt, in den Bereich des Sentimentalen abzugleiten.
Die Künstlerin vermag es, den Reiz der „banalen Dinge“ freizulegen bzw. diesen überhaupt erst bewusst zu machen. In einen neuen Kontext gebracht zeigen sie sich von einer ungewohnten und ansprechenden Seite und erscheinen plötzlich beachtenswert und voller Schönheit. Elisabeth Homars kleine, manchmal fast fragil wirkende Objekte strahlen eine Wirkung aus, der man sich kaum entziehen kann. Sie ermöglichen uns, den Blick für die kleinen Dinge zu schärfen und dadurch vielleicht zu einer neuen Sicht der uns umgebenden Welt zu gelangen.

(1991)